Gedanken Kita & Schule

Wenn kleine Dinge großes Glück bedeuten

Als ich gestern Morgen wach wurde, war ich unglaublich erleichtert: Durch die Jalousien konnte ich es schon erkennen: Die Sonne scheint! Welch ein Glück! Denn es war ein ganz besonderer Tag. Unsere Kita feierte ihren 60. Geburtstag! Ein großes, kunterbuntes Kindergartenfest stand auf dem Programm. Seit Monaten schon waren die Erzieherinnen und Erzieher, die Kinder und der Elternbeirat mit den Vorbereitungen beschäftigt, und alle waren schon ganz aufgeregt. Ich natürlich auch.

Angst vor den eigenen Emotionen

Schon seit ich den Programmablauf kannte, hatte ich ein mulmiges Gefühl. Ich machte mir Gedanken, wie unser Fips diesen Tag wohl mitmachen würde. Die Aufführungen der Kinder, so viele Menschen, laute Musik, viel Action und Trubel und den ganzen Tag lang Programm. Nicht gerade das, was unser Fips unbedingt braucht. Eben kein typischer Tagesablauf. Was bei anderen Kindern für große Vorfreude und Bauchkribbeln sorgt, kann ein Kind mit fragilem X-Syndrom völlig überfordern und aus der Bahn werfen. Aber was erzähle ich Dir das… 😉
Am meisten jedoch beschäftigte mich die Frage, ob er überhaupt bei der Aufführung am Vormittag mitmachen würde: Beim Jubiläumsgottesdienst unter freiem Himmel sollten die Kinder gemeinsam singen. Würde er dem Druck standhalten? In einer für ihn fremden Umgebung, mit all den Eltern, Großeltern und Geschwisterkindern, die natürlich alle dabei sein und zuschauen würden. Und das alles um eine Uhrzeit, zu der er ohnehin immer müde wird.
Ich war nervös. Weil ich wusste, dass es eben schiefgehen kann. Gleich zum Start in diesen besonderen Tag. Ich versuchte, mich innerlich schonmal darauf vorzubereiten. Doch das stimmte mich gleichzeitig traurig. Was, wenn ihm alles zu viel wird und er am Ende das ganze Geschehen nur vom Rande aus auf meinem Schoß und mit Schnuller mitverfolgen würde? Oder wenn er vor lauter Reizüberflutung gar nicht dabeibleiben könnte? Wenn wir abbrechen und gehen müssten?
Es wäre nicht das erste Mal. Und natürlich wäre das völlig ok, denn ich hätte vollstes Verständnis dafür! Schließlich weiß ich, wie viel Kraft ihn das alles kosten würde. Gleichzeitig wusste ich aber auch, dass ich in einem solchen Moment vermutlich sehr emotional werden würde. Ich hatte Angst davor, dass ich gleich zu Beginn dieses besonderen Tages auf den Boden der Tatsachen geholt und mir die Realität wieder so unsanft vor Augen geführt werden würde, dass ich den Rest des Tages nur bedrückt und mit aufgesetztem Lächeln verbringen würde. Ich hatte Angst vor meinen eigenen Emotionen.

Die Aufregung steigt… Ein guter Start.

Es war eine angenehme und frühlingshafte Atmosphäre. Nach den vielen Regentagen gab die Sonne an diesem Tag wirklich alles und zauberte eine wunderschöne Kulisse für diesen Gottesdienst. Umringt von vielen großen Bäumen und Sträuchern, frischem grünen Gras und einem kleinen Brunnen hatten sich alle versammelt – Eltern und Kinder, Großeltern, Geschwister, Ehemalige und natürlich Erzieherinnen und Erzieher. Während sich die Kinder langsam vorne auf ihrer kleinen „Bühne“ zusammenfanden, rutschte unser Fips neben mir auf der Bank noch hin und her und interessierte sich gar nicht für die anderen Kinder. Hier bei mir fühlte er sich sicher, hier wollte er bleiben. Die Antwort auf meine Frage, ob er nicht auch zu den anderen Kindern nach vorne gehen wolle, konnte ich mir selbst geben. Natürlich wollte er das NICHT! Keine Chance, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Also fragte ich die Erzieherinnen, ob sie den Fips holen könnten. Kein Problem, ich könnte aber auch mit ihm zusammen nach vorne kommen. Ich ahnte allerdings, dass er das nicht freiwillig machen würde. Also warteten wir noch einen Moment, um ihm etwas Zeit zu geben. Und plötzlich überraschte er mich und die ganze Familie zum ersten Mal an diesem Tag: Er stand auf und ging ganz langsam aber zielstrebig zu den anderen Kindern nach vorne. Er hatte es geschafft! Nun konnte der Gottesdienst beginnen. 😉

Große Überraschung und tiefes Glück

Und während ich jeden Moment darauf wartete, dass unser Fips das Ganze selbst wieder beendet, dass er anfängt zu weinen und sich ausklinkt, hatte er sichtlich Freude. Er überraschte uns alle gleich ein zweites Mal: Während des gesamten Gottesdienstes blieb er in der großen Gruppe von Kindern stehen bzw. sitzen. Kein Anzeichen, dass er sich unwohl fühlte und wir abbrechen müssten. Eine halbe Stunde lang: Stehen und Sitzen im Wechsel, Zuhören und Singen im Wechsel. Und das obwohl die Reize um ihn herum schon recht groß waren. Der Pfarrer, dessen Stimme durch das Mikrofon schallte, die vielen Kinder, die alle gemeinsam laut sangen und klatschten. Die vielen Eltern und Geschwisterkinder, die nach jedem Lied Applaus gaben. All das machte unser Fips mit. Einfach so. Er sang, er klatschte und bewegte sich, wie es die Kinder zusammen geübt hatten. Ich konnte es kaum glauben. Immer wieder schaute ich meinen Mann an und spürte, dass auch er sichtlich stolz und glücklich war. Ja, es war ein Gefühl von tiefem Glück, von purer Überraschung, natürlich auch von großer Erleichterung, und ja – auch von Stolz. Denn unser Fips war gerade über sich selbst hinausgewachsen. Und er hat uns und unsere Herzen alle mitgenommen.

Bilder, die im Herzen bleiben

Wobei – eigentlich mag ich den Begriff „Stolz“ in Verbindung mit unserem Fips ja gar nicht. Für mich schwingen in diesem Wort immer eine gewisse Erwartungshaltung und eine vollbrachte Leistung mit. Eltern sind stolz, wenn ihre Kinder etwas gut gemacht haben. Ich selbst habe den Begriff bisher einfach noch nicht benutzt. Ich FREUE mich über mein Kind und die Dinge, die es tut, sie machen mich glücklich. Aber stolz? Irgendwie passte das nie in meine Welt. Aber an diesem Tag konnte ich tatsächlich sagen: Ich bin stolz. Ja, ich bin stolz, dass unser Fips so toll mitgemacht hat! Dass er so über sich hinausgewachsen ist. Dass er gezeigt hat, was er doch aushalten kann. Auch wenn er danach sichtlich erschöpft war. Aber er hat durch die Gemeinschaft der Kinder und der Erzieherinnen und Erzieher alles aus sich herausgeholt. Und was noch wichtiger ist: Er hatte Spaß dabei! Ja, er singt und klatscht gerne! Das hatte mir auch der Kita-Leiter schon im Vorfeld immer und immer wieder berichtet. Und gestern durfte er das vor allen Leuten zeigen. Diese Bilder in meinem Kopf, sie bleiben hängen, sie machen mich glücklich und zeigen: „Ja, mein Schatz, Du gehörst dazu! Du bist mittendrin! Und Du kannst es auch genießen. Das hast Du toll gemacht!“ Ein wunderbares Gefühl.

Die richtige Entscheidung?!

Durch diese schöne Erfahrung konnte ich auch den Nachmittag besser „ertragen“, als nämlich alle Kinder die große Jubiläums-Show aufführten. Lange einstudiert, Tag für Tag geübt – ich glaube manche Eltern waren aufgeregter als ihre Kinder. Doch einer war nicht dabei: Unser Fips. Wir hatten es bewusst so entschieden. Ich wusste, dass um diese Uhrzeit ohne Mittagsschlaf bei ihm gar nichts zu holen wäre – vor allem bei einem solchen „Event“. Also hatten wir relativ früh entschieden, dass er nach dem Gottesdienst zeitig schlafen dürfte, damit er wenigstens am Nachmittag noch etwas von dem großen Fest hat. Somit konnte er bei der Show aber eben nicht mitmachen.
Es ist oft nicht leicht zu entscheiden, an welcher Stelle ich unseren Fips überfordere oder wann ich ihm zu wenig zutraue. Wie weit darf oder sollte man gehen und an welcher Stelle sollte Schluss sein? Mein Bauchgefühl hat mir die ganze Zeit schon gesagt, dass es besser so ist. Und trotzdem habe ich immer wieder überlegt, ob wir es nicht doch versuchen sollten, ob ich ihm zu wenig zutraue, während ich eigentlich wusste, dass es die richtige Entscheidung ist.
Und zum Glück wurde mir das am Tag vor dem großen Fest nochmal eindeutig bestätigt. Bei der Generalprobe – mit Mikrofon und Musikanlage – war unser Fips komplett überfordert und saß weinend am Rande. Der klare Beweis dafür, dass die Entscheidung richtig war. Selbst die Erzieherinnen und Erzieher bestätigten mir das. Das gab mir ein gutes Gefühl. Und so wusste ich, dass alles gut wird. So war der Tag stressfreier für alle Beteiligten.
Ich habe mir die große Aufführung dennoch angesehen, während unser Fips sich zuhause ausschlafen konnte. Meine Emotionen hatte ich gut im Griff. Und beim Abschlusslied, das vermutlich auch viele andere Eltern sehr berührt hat, bin ich einfach gegangen. Denn mittlerweile habe ich ein gutes Gefühl dafür, wie ich mich selbst am besten schützen kann…

Am Ende kann ich sagen: Ein wunderschöner Tag mit vielen schönen Emotionen, die mir immer in guter Erinnerung bleiben werden.

Danke, liebe Kita Fantasia!

Bildquelle: pixabay /  Counselling

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4 Kommentare für “Wenn kleine Dinge großes Glück bedeuten

  1. Hallo Steffi!
    Beim Lesen bekam ich Gänsehaut!
    Ich freue mich, dass Du diesen Moment genießen und erleben konntest, dass Fips „mittendrin“ statt außen vor war….ein Moment, der für uns öfters Alltag ist! Ich freue mich, wenn es in der nächsten Zeit weitere solche Gelegenheiten für Dich geben wird… an denen Fips Dir zeigt, welchen Platz er in der Kita gefunden hat!😉

    1. Lieber Marco,
      vielen lieben Dank für Deine schönen Worte!
      Ich freue mich schon auf viele weitere solcher schönen Momente.
      Und ich bin mir sicher, dass ich sie bei Euch, Eurem tollen Team und den tollen Kindern erleben werde 🙂
      Danke für alles!

  2. Da wird man ganz emotional beim lesen. Ich kann deine Gefühle gut nachvollziehen. Als Mutter ist man sowieso stolz, wenn das eigene Kind so eine kleine Aufführung gut meistert, aber wenn die „Erwartungen“ dann auch noch so übertroffen werden, geht einem sicher total das Herz auf.
    Diesen Tag werdet ihr als Familie bestimmt nie vergessen.

    1. Vielen Dank, liebe Samira, für Dein schönes Feedback!
      Und Du hast absolut recht – diesen Tag werde ich nie vergessen! 🙂
      Solche Momente bleiben uns Müttern im Herzen, oder?!
      Liebe Grüße,
      Steffi

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