Als ich die Anfrage von Lena Kampfhofer bekam, ob ich bei ihrer Blogparade zum Thema „So leben wir als Familie“ mitmachen möchte, war ich ganz angetan. Wie schön – da hatte jemand Interesse an unserer Lebensgeschichte mit dem Fragilen X-Syndrom. Klar wollte ich da mitmachen und einen kleinen Einblick in unseren Familienalltag geben! Im gleichen Augenblick zuckte ich zusammen: Nein, nicht noch ein To Do auf meiner never ending Liste. Das schaffe ich nicht! Also beschloss ich, ihr abzusagen. Nur wenige Stunden später fand ich mich mal wieder verzweifelt in unserem FraX-Alltag wieder und fragte mich, wie das hier alles weitergehen sollte. Diese Achterbahn der Gefühle und die täglichen Herausforderungen im Leben mit unserem behinderten Kind. Und auf einmal spürte ich, wie all das mal wieder seinen Weg nach draußen suchte. In diesem Moment war mir klar: Die Blogparade kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Und ich begann zu schreiben …
Eigentlich alles ganz normal, oder?
Man sollte meinen, dass man sich nach sieben Jahren mit der Diagnose Fragiles X-Syndrom an dieses „besondere“ Leben gewöhnt hat. Und ja – das haben wir. Es ist für uns zur Normalität geworden – wir haben unsere Routinen und Abläufe, die Handgriffe sitzen, wir wissen, worauf wir achten müssen. Doch auch nach sieben Jahren ist es immer wieder eine große Herausforderung für uns, den Alltag mit unserem Sohn zu bestreiten. Denn es ist eben vieles doch nicht „normal“. Zumindest nicht so, wie wir es uns vielleicht einmal vorgestellt hatten. So, wie es bei anderen läuft.
Gar nichts ist normal!
Um eines vorneweg zu nehmen: Ich liebe mein Kind bedingungslos. Doch gerade seine Verhaltensauffälligkeiten und seine autistischen Züge sind für mich und uns eine enorme Belastung, die viel Kraft kostet. Wenn man bei scheinbar so simplen Dingen wie Fingernägel schneiden an den Rand der Verzweiflung kommt … Wenn man sein achtjähriges Kind jeden Meter im Buggy schieben muss, weil es das Laufen verweigert … Wenn man ihm im Restaurant sofort das Handy in die Hand drückt, weil es das Warten nicht aushalten kann … Wenn man keinen Familienurlaub macht, weil die Angst vor dem Frust und der Enttäuschung zu groß ist … Wenn man viele Dinge getrennt macht, damit der Partner eine Auszeit bekommt … Wenn man kaum etwas spontan unternehmen kann und alles genau durchgeplant sein muss, weil alles andere für Unruhe sorgt … Wenn man bereits über die Unterbringung in einem Internat nachdenkt, weil es möglicherweise für alle Beteiligten das Beste sein könnte …
Wenn ich so darüber nachdenke, wird mir wieder bewusst, wie anders bei uns doch alles ist.
Was das Anderssein mit mir macht.
Es zieht sich wie Kaugummi durch den ganzen Alltag – dieses Anderssein. Und es kostet mich viel Kraft. Physisch – und auch psychisch. Nicht nur, weil ich mir selbst viele Dinge sicher anders vorgestellt hatte – leichter, fröhlicher, unbeschwerter. Sondern auch, weil ich spüre, dass unser Alltag auch für Außenstehende Fragen aufwirft. Kompliziert erscheint. Vielleicht auch Unverständnis hervorruft. Und eigentlich müsste es mir egal sein, was die anderen sagen oder denken. Ist es aber nicht. Nicht immer. Natürlich beschäftigt es mich, ob andere Menschen mich für eine schlechte Mutter halten oder zumindest für inkonsequent, bequem oder oder oder. Natürlich würde auch ich viele Dinge im Alltag gerne anders machen! Und ja – es gibt viele Momente, in denen es mich unglaublich traurig macht, dass eben alles so anders läuft.
Und dann wieder ist es mir so verdammt egal, was andere sagen oder denken könnten. Weil ich meine Kraft dann für mich selbst und für meine Familie brauche. Weil ich es dann leid bin, mich zu erklären. Weil ich vieles selbst nicht verstehe. Dann ziehe ich mich gerne zurück und bleibe in unserer eigenen kleinen Welt – dort, wo ich mich sicher fühle.
Zwischen Verzweiflung und Zuversicht – Wir gehen unseren Weg.
Das Schöne ist: Immer, wenn ich gerade wieder am verzweifeln bin, dann weiß ich zumindest eins: Es kommen auch wieder glückliche Momente. Es sind diese klitzekleinen Momente, aus denen ich meine Kraft ziehe. Und die werde ich auch in Zukunft brauchen. Ich weiß nicht, was kommen wird. Ich weiß nur, dass es nicht leicht werden wird. Und genau deswegen werde ich gut auf mich und meine Familie achtgeben und auf mein Herz hören. Werde meinen Weg gehen, werde meine Entscheidungen treffen – gemeinsam mit meinem Mann. So wie es für uns und unseren Sohn das Beste ist. Denn nur das zählt.
Liebe Steffi, danke für deinen Beitrag zu meiner Blogparade „Individuell, frei, selbstbestimmt – so leben wir als Familie“. Danke, dass du so offen und ehrlich von eurem Leben als Familie berichtest. Ein Stück Lebensgeschichte teilst.
Ja, ihr habt euch die vielen Herausforderungen im Leben mit einem behinderten Kind nicht ausgesucht. Umso wichtiger finde ich es, dass du davon berichtest. Und ich finde es unglaublich wertvoll, darüber lesen zu dürfen.
Ich wünsche mir eine Welt in der sich das Anderssein nicht mehr wie Kaugummi durch den Alltag zieht. Sondern wie flüssiges Gold um uns herum fließt. Oder uns wie ein buntes Band verbindet.
Eine Welt in der das anders Sein oder das anders Leben uns nicht mehr voneinander trennt. Sondern verbindet.
In der wir Verzweiflung miteinander teilen können, wir uns gegenseitig Kraft geben können, in der wir so sein dürfen, wie wir nun mal sind, und wir uns selbst in unserem und andere in ihrem Anderssein annehmen.
Und ich glaube, dass so ein Blog wie deiner hier, ein Schritt in diese Richtung ist 🙂
Grüße von Herzen
Lena
Liebe Lena,
vielen herzlichen Dank für Deine Worte – das hast Du so schön gesagt! Tut gut, das so zu hören … 😉 DANKE!
Ganz liebe Grüße,
Steffi