Gedanken

Lasst uns die Welt ein kleines bisschen besser machen.

Für die verwundbaren Mutterherzen von „besonderen“ Kindern.

Diese Zeilen sind für alle Mamas (und Papas), die durch ihre „besonderen“ Kinder so verwundbar sind und gleichzeitig so stark sein müssen. Diese Zeilen sind aber besonders auch für all die Menschen, die die Welt ein kleines Stückchen besser machen wollen.

Alles ganz normal – oder?

Wir leben jetzt seit fast vier Jahren mit der Diagnose „Fragiles X-Syndrom“, und für mich ist es mittlerweile ganz normal, dass unser Sohn „anders“ ist. Doch das, was für uns normal ist, mag für Außenstehende manchmal etwas seltsam und oft auch befremdlich wirken. Daher darf ich mich wirklich glücklich schätzen darüber, dass wir mit unserem Fips bisher noch keine schlechten Erfahrungen in der Öffentlichkeit und im Kontakt mit anderen Menschen gemacht haben. Sicher gibt es ab und an Situationen, in denen auch ich verwundbar bin, aber wir wurden bisher immer respektvoll behandelt. Das mag vielleicht daran liegen, dass unser Fips noch (!) relativ jung ist und mit seinem Lächeln meist sehr positiv auf andere Menschen wirkt. Es mag auch daran liegen, dass ich sehr offen mit seiner Behinderung umgehe und grundsätzlich ein sehr freundlicher, rücksichtsvoller und verständnisvoller Mensch bin. Gleichzeitig weiß ich aber auch, dass das keine Garantie dafür ist, dass wir vor verletzenden Blicken und Worten geschützt sind. Ich weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, so respektvoll behandelt zu werden.

Wenn Blicke und Worte tief verletzten

In den vergangenen Monaten und Jahren habe ich so oft von anderen Müttern gehört, was sie mit ihren „besonderen“ Kindern schon alles wegstecken mussten – gerade auch bei Kindern mit dem fragilen X-Syndrom. Schmerzliche Erfahrungen in der „Welt da draußen“ – verletzende Begegnungen mit anderen Menschen. Mir tut es immer wieder in der Seele weh, wenn ich solche Erzählungen höre. Was muss wohl eine Mutter fühlen, wenn sie mit ansehen und spüren muss, wie ihr „besonderes“ Kind aufgrund seiner Behinderung ausgegrenzt oder zurückgewiesen wird? Oder wenn sie selbst mit Blicken getroffen oder mit Worten verletzt wird? Weil sich ihr Kind nicht der Norm entsprechend verhalten hat. Weil ihr Kind stört. Weil ihr Kind anders ist.
Ich weiß, dass auch uns das passieren kann. Dass auch ich irgendwann einmal in der Situation sein werde, in der mein Kind anderen Menschen unangenehm auffällt, in denen es sich unangemessen verhält. Situationen, in denen Kommentare fallen werden, die ohne Bedacht gewählt sind – die aber Spuren hinterlassen werden. Bei mir vielleicht mehr als bei meinem Kind. Wir werden vermutlich alle irgendwann spüren, wie verwundbar wir über unsere Kinder sind. Und das gilt für alle Eltern. Doch mit einem „besonderen“ Kind geht der Schmerz besonders tief.

Ich will mich nicht entschuldigen!

Ja, ich gebe zu: Davor habe ich Angst. Ich habe Angst vor Ablehnung, Ausgrenzung, verletzenden Worten und Blicken – gerade, wenn unser Fips älter wird und eben nicht mehr wie ein kleines Kind alle Herzen verzaubert. Daher bemühe ich mich immer, möglichst freundlich und offen mit der ganzen Situation umzugehen – auf andere Menschen zuzugehen. Doch ich habe Angst davor, dass das irgendwann nicht mehr reicht. Dass ich mich irgendwann für mein Kind „entschuldigen muss“. Für Dinge, die nicht in unsere Gesellschaft passen. Für sein Verhalten, das nicht der Norm entspricht. Für Dinge, die mein Kind nicht absichtlich tut, aber die eben nicht „normal“ sind. Doch wie kann ich mich für mein eigenes Kind und sein Verhalten entschuldigen, wenn ich weiß, dass das alles zu meinem Kind dazugehört?! Entschuldige ich mich dann nicht eigentlich dafür, dass es „dieses Kind“ gibt? Dass ich „dieses Kind“ auf die Welt gebracht habe? Oft bin ich jetzt schon in Versuchung, mich für Dinge zu entschuldigen, spüre aber gleichzeitig, dass es gar nicht richtig ist. Ich möchte mich nicht für mein Kind entschuldigen! Denn mein Kind ist so, wie es ist. Und das ist gut so!

Daher möchte ich Euch Mamas (und Papas) ermutigen…

  • Seid offen gegenüber anderen Menschen und der „Welt da draußen“, wenn Ihr könnt. Manchmal schafft Ihr es dadurch vielleicht, das Eis zu brechen – indem Ihr auf die Menschen zugeht und sie aufklärt.
  • Seid dabei gerne auch mal direkt. Manchmal hilft das dem Gegenüber. 😉
  • Aber: Wenn Euch die Kraft dazu fehlt, dann ist das auch ok!
  • Für Ausnahmesituationen oder besonders schwierige „Fälle“: Legt Euch ein dickes Fell zu. Das geht nicht von heute auf morgen – aber Ihr werdet an Eurer Situation wachsen!
  • Erwartet nicht zu viel von Eurer Umwelt – es gibt Menschen, die nur schlecht mit ungewohnten Situationen und Menschen umgehen können.
  • Werdet Euch bewusst, wie stark Ihr seid und vor allem: wie stark Eure Kinder sind!
  • Achtet auf Euch selbst! Sorgt gut für Euch, denn nur wenn es Euch gutgeht, habt Ihr die nötige Kraft für den Alltag.
  • Verbringt genug Zeit mit Menschen, die Euch guttun!
  • Tauscht Euch mit Gleichgesinnten aus.
  • Lasst Wut und Frust, Enttäuschung und Trauer hinaus!
  • Schaut vor allem auf die vielen kleinen Glücksmomente mit Euren Kindern!
  • Werdet Euch bewusst, dass Ihr Eure Kinder nicht vor allem schützen könnt. Vermutlich ist Euer Schmerz oft größer, als der Schmerz Eurer Kinder.
  • Schenkt Euren Kindern Eure ganze Liebe und Geborgenheit. Seid der Rückhalt und der Hafen für Eure Kinder, in den sie immer zurückkehren können.

… und die Welt „da draußen“ aufklären:

  • Ja, unsere Kinder halten sich nicht immer an die Verhaltensregeln unserer Gesellschaft – weil sie es ganz einfach nicht können.
  • Ja, ihnen fehlt oft das Gefühl für angemessenes Verhalten – gerade in der Öffentlichkeit und im Umgang mit anderen Menschen.
  • Ja, manchmal schreien oder toben sie – für andere scheinbar grundlos – doch das ist es definitiv nicht! Oft sind sie durch neue Situationen und Umgebungen oder zu viele Menschen völlig überfordert und stehen unter großem Stress.
  • Ja, unsere Kinder bewegen sich manchmal auffällig, wedeln mit den Händen oder machen ungewöhnliche Bewegungen – das sieht vielleicht komisch aus, ist aber nicht gefährlich!
  • Ja, sie schlingen und stopfen häufig beim Essen – das liegt aber nicht daran, dass sie keine Tischmanieren kennen!
  • Ja, sie verhalten sich oft für ihr Alter unangemessen – aber sie tun damit niemandem etwas Böses!
  • Ja, sie haben oft Scheu vor Menschen – selbst vor vertrauten Personen – und wenden sich ab. Das hat nichts mit Unhöflichkeit zu tun! Gib ihnen einfach etwas Zeit!
  • Ja, sie können Dir vielleicht nicht in die Augen schauen! Aber das ist nicht unhöflich oder böse gemeint, sondern einfach unangenehm für sie.
  • Ja, sie mögen oft keine Berührungen oder zu engen Kontakt – respektiere das bitte!
  • Ja, sie sprechen meist etwas undeutlich. Wenn Du etwas nicht verstehst, frag doch einfach nach! Und am besten: Sprich langsam und in einfachen Sätzen.
  • Ja, sie reagieren nicht immer sofort. Es dauert oft ein wenig (manchmal auch etwas länger), bis sie antworten oder einer Aufforderung nachkommen. Bitte hab Geduld und gib ihnen die Zeit!
  • Und Nein, wir wollen uns nicht für unsere Kinder entschuldigen! Weil sie zu laut sind oder sich auffällig verhalten. Wir lieben unsere Kinder – genau so wie sie sind!

Unsere Kinder sind anders – definitiv. Aber sie sind alle so liebenswert. Sie sind herzensgute, freundliche, fröhliche und liebenswerte Wesen – auch wenn man es nicht immer gleich sieht. Aber wenn ihr euch einen Moment Zeit nehmt, könnt Ihr es vielleicht erkennen. Wenn Ihr nicht sofort urteilt, wenn Ihr die Eltern einfach fragt, warum das Kind sich gerade so verhält. Dann wäre vieles leichter. Für Euch. Für unsere Kinder. Und für uns.

Bildquelle: pixabay / Counselling

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2 Kommentare für “Lasst uns die Welt ein kleines bisschen besser machen.

  1. Wieder einmal ein ganz toller emotionaler Beitrag von dir. Dankeschön für deine offenen Worte. Ich persönlich finde, dass die Gesellschaft von Kindern zu viel verlangt. Dies gilt für Kinder mit und ohne Einschränkungen oder Entwicklungsverzögerungen. Kinder sollen sich immer wie kleine Erwachsene benehmen. Wenn dies nicht funktioniert, weil sie eben kleine impulsive Wesen sind, die im hier und jetzt leben, dann wird den Eltern irgendeine Schuld eingeredet. Das Schlimme ist, dass man diese undefinierte „Schuld“ auf sich nimmt und sich für völlig normales und evolutionär wichtiges Verhalten entschuldigt. Man sollte sich nicht entschuldigen müssen, vorallem nicht wenn das Kind eine Einschränkung hat. Dann sollte sich erstrecht jede*r in Zurückhaltung üben. Die Menschen sollten sich wieder freier machen und selbst wieder anfangen emotional und impulsiv zu sein, anstatt anderen mit erhobenem Zeigefinger Moralpredigten zu halten.

    1. Hallo Katrin,
      das hast Du so schön gesagt!
      Und eine wirklich schöne Vorstellung, wenn sich alle wieder etwas freier und lockerer machen könnten und emotionaler wären… Fangen wir doch einfach im Kleinen damit an. 🙂
      Liebe Grüße
      Steffi

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